von Christian Waldrich
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich schreibe Ihnen nachfolgende Stellungnahme als ehemals direkt, mittlerweile „nur noch“ mittelbar betroffener Anwohner, kommunalpolitisch aktiver und umweltbewegter Mensch der Region Garzweiler.
Analog zum „Entwurf einer neuen Leitentscheidung: Neue Perspektiven für das Rheinische Braunkohlerevier“ vom 06.10.2020 möchte ich zunächst auf Ihre Einführung eingehen, welche meiner Meinung nach bereits wesentlichen Schwächen der vorliegenden Leitsätze bzw. des Verfahrens vorwegnehmen.
Ich beziehe mich dabei nicht auf eine politische Bewertung sondern im Wesentlichen auf die Bedeutung für das übergeordnete Ziel einer Befriedung im Sinne eines gesamtgesellschaftlichen Kontextes.
a) So führen Sie bereits im ersten Absatz der Einführung aus, dass die Landesregierung mit dem vorgelegten Entwurf einer gesellschaftspolitischen Befriedung Vorschub leisten möchte. Gleichwohl wurde beispielsweise auf Betreiben und Druck der Landesregierung im Rahmen des sogenannten Kohleausstiegsgesetzes die bergbauliche Inanspruchnahme der verbleibenden Ortschaften als unverzichtbar für die Energieversorgung deklariert, eine Feststellung, die nicht nur der Einschätzung der Mehrheit der, mit der Materie befassten Institute und Verbände widerspricht sondern auch dem sich verändernden Tenor diverser, mit Fragen der Entweignung befasster Gerichte. Die Landesregierung hat also bereits am Anfang Ihrer „Befreidungsbemühungen“ einen gesetzlichen Taschenspielertrick gezogen der sicher nicht dazu beitragen wird, das Gefühl von Gerechtigkeit, Waffengleichheit und Respekt gegenüber den Betroffenen in der Region zu fördern.
Die Landesregierung soll sich dafür aussprechen, den entsprechende Passus des Kohleausstiegsgesetzes zu streichen und den ordentlichen Gerichten die regelmäßige Überprüfung der Angemessenheit von Enteignungsmaßnamen und Entschädigungen zu belassen.
b) Unter Punkt 1.1 stellen Sie fest, dass sich die Notwendigkeit für die neue Leitentscheidung aus den Findungsprozessen, ausgehend von der Einrichtung der „Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, kurz KWSB ergibt. Dies ist zwar im zeitlichen Ablauf richtig, jedoch unterschlagen Sie dabei, dass die Empfehlungen der KWSB in weiten teilen gar nicht oder nur unzureichend umgesetzt wurden. Im Rahmen der Bund-Länder-Einigung wurde somit lediglich die Meinung bzw. der Wunsch der beteiligten Länder kodifiziert, nicht die Meinung der Kohlekommission. Die von Ihnen gewählte Basis ist damit nicht durch ein breites gesellschaftliches Bündnis zustande gekommen sondern allein durch eine selektive Zusammenfassung diverser Regierungen unter expliziter Kritik diverse Mitglieder der Kohlekommission und Stimmen aus der Gesellschaft und Wissenschaft.
c) Die Notwendigkeit des Weiterbetriebs der Braunkohleverstromung sowie der Gewinnung in den aktiven Abbaugebieten ist keineswegs so sicher wie angeführt. So wurde z.B. die Abbaumenge des Tagebaus Inden wesentlich reduziert, was zu einer unnötigen Verlängerung des Abbaugebiets Garzweiler führen wird. Die Notwendigkeit der Verstromung über die geplante Laufzeit ist mit Blick auf den, sich stetig verändernden Strommix sowie des wirtschaftlichen und bürgerschaftlichen Engagements bei Stromerzeugung, Stromspeicherung und Verteilung ebenfalls fraglich. Das bezeugt der Bundesgesetzgeber selbst, z.B. durch die bereits erwähnte Klausel im Kohleausstiegsgesetz. Jedenfalls kann die ungeprüft übernommene Feststellung der Notwendigkeit aus § 48 KVBG (2016) als dauerhafte Grundlage einer Leitentscheidung des Jahres 2021 als nicht ausreichend angesehen werden.
Nach einer, von RWE in Auftrag gebenen Studie geht der Konzern überdies davon aus, das eine Restmenge von 900 Millionen Tonnen verstromt werden können ohne das Pariser Klimaschuttziel zu gefährden. Eine DIW Studie kommt zum Ergebnis, dass dieser „unschädliche“ Mengenkorridor auf 300 Millionen Tonnen begrenzt ist. Auch dazu geht die neue Leitentscheidung nicht ein sondern stellt mehrfach kritisierte Datenbasen als faktische Grundlage dar.
Zu den einzelnen Entscheidungssätzen möchte ich wie folgt Stellung nehmen:
Entscheidungssatz 1:
Die Definition der, zu gestaltenden Zukünftsräume erscheint mir sehr stark auf den physisch klar abgegrenzten Bereich des Inanspruchnahme-Gebiets beschränkt zu sein. Ähnlich wie nach dem Fall dem Fall der Mauer und dem Abbau des eisernen Vorhangs gibt es aber verscheidene Zonen im Umfeld des Tagesbaus deren Entwicklung vom Tagebau bestimmt aber nicht von ihm unmittelbar umfasst wurden.
So wurden Infrastrukturen oder auch Siedlungsgebiete nicht oder nur unzureichend entwickelt („lohnt nicht mehr / noch nicht“) oder durch das Abschneiden von Verkehrsverbindungen „ausgeblutet“. Auch diese Zonen müssen von der zukünftigen Planung umfasst werden. Dabei darf der Zeithorizont nicht zu kurz gewählt werden.
Bei der Nachfolgenutzung des bisherigen Betriebsgeländes muss ein Weg gefunden werden die Vormachtstellung von RWE als Besitzer der Fläche zu reduzieren. Es besteht die Gefahr, dass RWE die Ausübung seiner Besitzrechte als Druckmittel zur „Verrechnung“ von z.B. Ewigkeitslasten einsetzt.
Entscheidungssatz 3:
Die geplanten Abstände zu Ortsrändern sind mit 400 Metern respektive 500 Metern im Falle eines vorgelogenen Abschlussdatums zu gering. Wie richtig ausgeführt wird ist die Belastung der Anwohner durch die Bergbautätigkeit in vielerlei Hinsicht enorm hoch.
a) Lärm, Schmutz, Staub führen zu einer andauernden Minderung der Lebensqualität bis hin zu bestandsgefährdenden Stress-Symptomen. Neben den körperlichen und seelischen Attacken beeinträchtigt ein Tagebau in der Nachbarschaft auch die Werthaltigkeit von Grundstücken. Ein Regelabstand von 400 Metern kann diesen Einschränkungen nicht im entferntesten angemessen abhelfen, zumal selbst dieser geringe Abstand durch die Einschränkung der „Machbarkeit“ in Frage gestellt wird. Technische Ersatz-Lösungen, wie z.B. die bekannten Berieselungsanlagen sind weitgehend nutzlos (ich empfehle den Besuch des Tagebaurands bei starkem Wind für ein persönliches Bild).
b) Ein Regelabstand von 400 Metern konterkariert das Ziel der Befriedung der Region. Wie kann die Landesregierung ernsthaft einen Regelabstand von 400 Metern als ausreichend betrachten während sie gleichzeitig mit Verweis auf den präventiven Emissionsschutz per Windkrafterlass einen Abstand von 1.500 zur Wohnbebauung als unerlässlich ansieht?
Der Regelabstand zum Ortsrand betroffener Ortschaften muss mindestens 600 Metern betragen. Geringere Abstände dürfen 500 Meter nicht unterschreiten.
Entscheidungssatz 5:
a) Die Landesregierung führt in den Erläuterungen aus, dass RWE seinen Verpflichtungen insbesondere der Rekultivierung nicht in ausreichendem Maße nachkommt. Gleichzeitig definiert sie im Entscheidungssatz weiterhin lediglich ihre planerische Erwartung.
Die Landesregierung soll sicherstellen, dass RWE Vereinbarungen und Verpflichtungen der Art und der Zeit nach einhält und umsetzt.
b) In den Erörterungen geht die Landeregierung weiterhin von der Errichtung einer A61n aus. Eine weitere Nord-Süd Verbindung in der Ausbaustufe einer Autobahn parallel zur A44n ergibt keinen Sinn. Zwar verursacht die derzeitige Verkehrsführung über die A44n einige Probleme. Diese sind aber planerisch mit deutlich weniger Aufwand mit mit weniger Einschränkung der Flächenqualität zu realisieren.
So wäre es geboten:
die Anschluss-Stelle zur A46 bzw. von der B46 zur A61 zu überdenken und in eine endgültige Lösung zu überführen
die A44n durch angemessene Randbepflanzung ggf. Bebauung vor starkem Wind und Staubeinträgen zu schützen
eine alternative Nord-Süd-Verbindung parallel zur A44n in Form einer L oder K Straße sollte alternativ überdacht werden.
Der Neubau einer A61n ist abzulehnen. Die ersparten Mittel sollen in voller Höhe durch RWE in die ökologisch hochwertige Gestaltung der Tagebaufolgelandschaft eingebracht werden.
Entscheidungssatz 7:
Hinsichtlich der Massengewinnung kursieren unterschiedliche Darstellungen in der Öffentlichkeit. Dies betrifft u.a. Qualität und Verwendbarkeit den noch nicht Rekultivierten Teile der Sophienhöhe oder die die Inanspruchnahme von Massenfeldern bei Manheim bzw. der östlich vom Hambacher-Forst gelegenen Felder.
Da die Massenbilanz zum Ende hin die maßgebliche Einheit für Dauer und Umfang des Tagebaus darstellt halte ich es für zwingend erforderlich sofort unabhängig den tatsächlichen Umfang, die Qualitäten sowie die Erfordernisse der Verbringung der tatsächlich vorhandenen Bodenmassen zu ermitteln.
Die Vorrangigkeit der Gewinnung sollte nicht auf das genehmigte sondern auf das bereits in Anspruch genommene Abbaufeld bezogen werden.
Entscheidungssatz 8:
Der Tagebau Inden soll trotz vorhandener Restmengen nicht vollständig ausgekohlt werden während zeitgleich im Tagebau Garzweiler Menschen umgesiedelt werden. Eine zwingende Notwendigkeit dafür hat RWE bislang nicht belegt. Es ist davon auszugehen, dass die Förderung rein betriebswirtschaftlich für RWE unattraktiv ist. Es kann aber nicht sein, dass Menschen enteignet und unter dem Verweis auf die Energiesicherheit umgesiedelt werden während der Bergbautreibende unabhängig von eben dieser Energiesicherheit sein Betriebsergebnis verbessern will.
Die Landesregierung muss unabhängig prüfen, ob RWE hier (und im Übrigen über die gesamte Tätigkeit hinweg) seiner Minimierungspflicht gegenüber dem Gemeinwesen nachkommt oder aus rein betriebswirtschaftlichen Erwägungen Profit über Notwendigkeit stellt. Ggf. ist auf die Fortführung des Tagebaus Inden zu drängen, die Förderung in Garzweiler entsprechend zu reduzieren oder der nicht-realisierte Ertrag durch RWE zu kompensieren.
Entscheidungssatz 9:
In den Vergangenen Jahren wurde in diversen Berichten über die Folgelandschaft des Braunkohletagebaus in Ostdeutschland oft und wiederkehrend über umgeschlagenen Seen, Wasser „wie Batteriesäure“ aber auch rutschende Hänge etc. berichtet. Ebenso kann nicht gewährleistet werden, dass nicht Boden-Altlasten nach der Befüllung ausschwemmen und die Wasserqualität gefährden.
Wie immer war der Tenor der betroffenen Unternehmen, dass dies nicht mit dem rheinischen Tagebau vergleichbar wäre.
Ich bin fachlich nicht in der Lage, das zu beurteilen, aber auch die Erläuterungen des 9. Entscheidungssatzes gehen von diversen Eingriffs-befunden aus. Eine entsprechende Lenkung und Steuerung der Wasserqualität kann heute weder der Qualität, der Quantität oder der Dauer nach geplant werden.
Auch ist davon auszugehen, dass die kommunale Wasserversorgung technischen Aufwand für die Anpassung an die neuen Wasserverhältnisse betreiben muss.
Die Landesregierung muss sicher stellen, dass auch hier seitens des Bergbautreibenden die möglichen Kosten (Alt- und Ewigkeitslasten) ausreichend und verwertungssicher hinterlegt sind. Unter verwertungssicher verstehe ich, dass die zur Sicherheit hinterlegten Werte marktgängig und realisierbar sind. Produktionsmittel (Bagger, Absetzer, Bandanlagen etc.) o.ä. stellen somit keine absichernden Werte dar.
Entscheidungssatz 13:
Der Entscheidungssatz 13 macht nur unter Annahme der Geltung des § 48 KVBG Sinn. Wie Eingangs erwähnt ersetzt diese Feststellung nicht die tatsächliche materielle Prüfung durch ordentliche Gerichte und bleibt ein permanenter Quell sozialen Unfriedens .
Die Landesregierung sollte von Ihrem planungsrechtlichen Spielraum Gebrauch machen und die Umsiedlung der Erkelenzer Ortschaften Keyenberg, Kuckum, Unter- und Oberwestrich sowie Berverath von einer permanenten materiell-rechtlichen Prüfung abhängig machen.
Die Landesregierung soll auf die Festlegung der Umsiedlung der Ortschaften Keyenberg, Kuckum, Unter- und Oberwestrich sowie Berverath verzichten.